Nach dem ich in meinen bisherigen Blogbeiträgen verschiedene Themen und Disziplinen betrachtet habe, möchte ich heute von meinen persönlichen Glaubensvorstellungen erzählen und wie ich versuche, diese meinem Sohn zur Orientierung zu vermitteln.
Vor 20 Jahren habe ich meine Glaubensvorstellungen in meinem Buch “One World – One Future – My Life“ wie folgt beschrieben (Auszug aus Kapitel 5 meines 2003 erschienenen Buches):
Glaubensvorstellungen eines jungen Menschen
Ich bin gewiss kein Mensch, der jeden Sonntag in die Kirche geht und deren einen Gott als übergroßen Vater in Menschengestalt glaubt, der einen großen weißen Bart hat und irgendwo auf einer Wolke im Himmel wohnt. Der tagein, tagaus die Erde beobachtet und für Gerechtigkeit sorgt, indem es sind nun Fehler augenblicklich bestraft. Der die Erde in sechs Tagen und den Menschen aus einem Häufchen Erde erschaffen hat.
Nein, auch ich hatte Physik, Biologie, Erdkunde und Chemie in der Schule und weiß, dass ich mir das nicht so einfach machen darf.
Die Erde wurde nun einmal vor sehr langer Zeit geschrieben, als die Menschen noch ein ganz anderes Bild von der Erde hatten. Als eine „Ansammlung von Glaubensgeschichten“ weist sie durchaus auch Widersprüche auf, da die Menschen, die sich schrieben, bestimmte Dinge unterschiedlich empfunden haben.[1]
Aber wer daraus schließt, dass ich nicht an Gott glaube, weil ich nicht alle Bibelaussagen verstehe oder als wahre Tatsachen anziehe und nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe, der irrt gewaltig.
Weder kann ich mir derzeit alles allein mit den Naturwissenschaften mit ihrer Evolutions- und Urknalltheorie erklären noch glaube ich, dass das jemals der Fall sein wird.
Oft scheint hier auch der Zufall eine große Rolle zu spielen? Was ist überhaupt Zufall? Stecken auch hinter ihm weitere, uns bislang verborgene Naturgesetze oder steht am Ende doch ein großer, alles wissender, alles könnender Gott hinter ihm, hinter den Gesetzen, hinter der Erde und hinter uns Lebewesen?
Warum sind die Gesetze so und nicht anders? Warum gibt es die Anomalie des Wassers? Warum setzt sich die Atmosphäre gerade so zusammen, dass auf der Erde eine erträgliche Temperatur für die Lebewesen Wesen herrscht? Warum gibt es zwischen den Elektronen und Protonen jedes einzelnen Atoms eine Energieminimum, welches auf diese Art die Atome zusammenhält? Warum so etwas wie leben? Weil es ihnen langweilig?
Manchmal stelle ich mir die Entstehung der Welt zuvor: Am Anfang war nichts, überhaupt nichts, wie wenn ich meine Augen schließen würde. Und in diesem nichts regierte Gott mit seinen Elementen und Gesetzen. Die Elemente waren noch unsichtbar und die Gesetze waren beziehungsweise sind ebenfalls unsichtbar.
Die Gesetze schufen aus den unsichtbaren Elementen so einzigartige sichtbare Dinge wie die Planeten, u.a. auch unsere Erde. Nun waren die Elemente teilweise sichtbar und weiter ging die Reise, Die Gesetze schufen auf der Erde aus den Elementen so faszinierende Dinge wie die Natur mit uns Menschen, und auch im Weltall geht diese Reise noch permanent weiter.
Aber vielleicht ist und war auch alles ganz anders. Vielleicht sind alle Erklärungsversuche nur momentan und in hundert Jahren gibt es wieder ganz neue Vorstellungen. Vielleicht sind wir ja auch nur ein ganz kleiner Teil der Schöpfung, der gar nicht in der Lage ist, sich mit seinem Gehirn alles erklären zu können.
Aber irgendetwas hat die Gesetze genau so werden lassen, wie sie sind und dadurch Leben ermöglicht. Irgendetwas lässt mich leben und entwickeln.
Irgendetwas scheint für mich hinter den Tieren, Pflanzen, den Menschen, den Wolken, den Gesetzen über Raum und Zeit, dem Zufall zu stecken, denn es ist alles so einzigartig faszinierend.
Wie aus einem winzig kleinen Sprössling ein über 80m hoher, mächtiger Baumriese werden kann oder aus einer kleinen Zelle ein über 30m langer Blauwal. Wie sich aus einer kleinen Knospe eine farbenprächtige Blüte entwickelt und ein Tonklumpen Pflanzenröhrenskelette enthalten kann, die unter dem Elektronenmikroskop so formvollendet aussehen, als hätte sie ein begnadeter Designer entworfen.
Und schließlich wir Menschen mit all unseren erstaunlichen Fertigkeiten, Gedanken und Ideen. Das Meisterwerk unserer Sprache, unsere Sinne, unser Gefallen an Musik, Kunst und Ästhetik, unser Immunsystem und vieles mehr. Irgendetwas hat dies alles sich entwickeln lassen.
Dieses Irgendetwas ist für mich wie ein „unsichtbarer Geist“, der hinter allem steht.
Er ist die Logik, die Herrlichkeit hinter dieser Welt. Herrscher über die Natur mit ihren Gesetzen, dem Zufall, dem Universum. Er steckt hinter allem Einfachen und Schlichten. Er alleine weiß, warum alles so und nicht anders ist. Er regiert, wir Menschen aber leben.
Ich nenne diesen unsichtbaren Geist Gott, er ist meine Vorstellung von Gott, auf diese Art und Weise kann ich ihn mir vorstellen.
…
Früher haben die Menschen der Sonne Opfer gebracht. Vor fünfhundert Jahren hieß es, die Erde sei eine Scheibe. Im Laufe der Zeit haben sich die Vorstellungen geändert, neues Wissen wurde gesammelt, Religionen haben sich verändert. Und auch in Zukunft wird sich sicherlich noch viel ändern. Auch meine Vorstellungen von Gott werden sich im Laufe der Zeit immer etwas verändern bzw. konkretisieren – aber es wird immer etwas geben, das ich als „Gott“ bezeichnen kann, denn ich spüre seine unendliche Liebe stets aufs Neue:
Wenn es mir schlecht geht und mich meine Mitmenschen an ihrer Lebensfreude teilhaben lassen und mir ein Lächeln schenken; wenn mir meine Mitmenschen in völlig unerwarteten Situationen helfen. Wenn meine Mitmenschen zu mir halten, auch wenn ich einen großen Fehler begangen habe; wenn sie mich trösten und mir Mut machen, wenn ich Sorgen habe, ja dann spüre ich Gottes Liebe.
Wenn mich ein Problem beunruhigt und ich durch Nachdenken eine Lösung, einen Weg finde, spüre ich, wie Gott mir dabei hilft. An der Freude, die ich in meinem Leben erfahre, wenn ich einfach nur nach meiner inneren Überzeugung lebe, spüre ich ihn.
Wenn wir Menschen uns nicht an der Angst, an den Fehlern, am Neid anderer „befriedigen“, sondern uns wirklich anstrengen, ein friedliches, begeisterndes Leben miteinander zu teilen, indem wir uns gegenseitig helfen, achten, respektieren und Freiheiten eingestehen, ja dann erlebe und spüre ich Gott, weil in diesen Momenten für mich das „Paradies auf Erden“ sichtbar wird.
Wenn wir unsere Umwelt schonen und erkennen, dass sie unser wertvollstes Gut ist und wir unseren Nachfahren nichts Herrlicheres hinterlassen können als eine intakte Natur und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, spüre ich ihn, weil wir dann zum Erhalt dieser einzigartigen Schöpfung beitragen.
Dieser „Geist“ lässt sich nicht anfassen, nicht sehen oder mathematisch beweisen, sondern lediglich erahnen, spüren, ja erleben.
Gott ist für mich derjenige, der mir Erfüllung, Liebe und Geborgenheit schenkt, wenn ich mein Leben nicht passiv an mir vorbeiziehen lasse, sondern am Alltag auf Erden „teilnehme“.
Denkanstöße für Kinder
Wahrscheinlich würde ich heute die ein oder andere Formulierung ändern, meine Vorstellungen haben sich in den zwei Jahrzehnten jedoch nicht verändert, da ich dieses Gefühl von Geborgenheit durch einen uns liebenden Gott immer wieder spüren und erfahren durfte und ich bin gespannt, wie es mein Sohn mal sehen wird.
Ich für meinen Teil vermittle meinem Sohn – neben meinem Werteverständnis – auch meine Glaubensvorstellungen
- von einem uns liebenden Gott,
- von der Vorstellung, dass Gott keine anderen Hände hat als unsere und
- dass unsere Zeit in seinen Händen liegt.
Indem ich das Gefühl thematisiere (zum Beispiel vor dem Einschlafen ein Gebet sprechen) und erlebbar mache (hören von Liedern, deren Texte Geborgenheit ausstrahlen, ihm bedingungslose Liebe schenken).
Ich akzeptiere selbstverständlich, wenn Mitmenschen (und er) diese Feinabstimmung der Naturkonstanten nicht einem Schöpfer zuschreiben, sondern es mit dem anthropischen Prinzip erklären.[2]
[1] Vgl. Wind, Renate: Befreiung buchstabieren. Basislektüre Bibel. S. 82ff, Kaiser Taschenbücher, Gütersloher Verlagshaus, 1995, Gütersloh
[2] Vgl. ZEIT-Artikel 54/2023 auf Seite 30 „Menschen sind komplizierter als Physik“ von Max Rauner und Ulrich Schnabel